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"Wir brauchen den betrieblichen Player"
14.11.2013
Archivmeldungen 2013
www.igbau-hamburg.de: Während Deines Aufenthaltes in Katar hast Du kürzlich schwere Menschenrechtsverletzungen und organisiertes Lohndumping aufgedeckt. Jetzt hat auch DFB-Chef Wolfgang Niersbach diese Zustände kritisiert. Zufrieden?
Dietmar Schäfers: Ja, das macht mich schon sehr zufrieden und ich bin überrascht, wie groß das Medieninteresse war. Dass der DFB jetzt auf die FIFA Druck macht, ist ein großer Erfolg. Die FIFA ist ja mittlerweile ein Staat im Staate und die kann natürlich nicht nur regeln, wie das Business läuft, sondern auch Vergaben und Arbeitsbedingungen bestimmen. Und da finden wir natürlich: Mit Niersbach und dem DFB haben wird einen starken Partner.
Dennoch: Kann unter solchen Bedingungen eine WM stattfinden?
Meine Position ist ja, dass man jetzt erst einmal Druck machen muss, dass sich die Verhältnisse dort verbessen. Dabei ist als erstes wichtig, dass die ILO-Konvention unterschrieben wird, da ist Katar ja bisher nicht dabei. Die Menschen kommen da ja nicht hin, weil das Wetter so schön ist, sondern die wollen ihre Familien ernähren. Sie kommen wegen Versprechen in ihren Heimatländern, die dann in Katar von den Unternehmen nicht gehalten werden. Dort gibt es dann das Kafala-System, da werden den Menschen die Pässe abgenommen und sie können das Land gar nicht verlassen. So und das muss natürlich verändert werden. Dazu kommt, dass Katar ja kein armes Land ist, Katar ist ja ein saureicher Staat.
In Katar hast Du Dich vom offiziellen Besuchsprogramm entfernt, um Dich klandestin mit indischen Arbeitern zu treffen. Wenn man solche Spielarten beherrscht – warum fällt es dann so schwer, Lohndumping in Deutschland zu bekämpfen?
Dietmar Schäfers: Ja, das macht mich schon sehr zufrieden und ich bin überrascht, wie groß das Medieninteresse war. Dass der DFB jetzt auf die FIFA Druck macht, ist ein großer Erfolg. Die FIFA ist ja mittlerweile ein Staat im Staate und die kann natürlich nicht nur regeln, wie das Business läuft, sondern auch Vergaben und Arbeitsbedingungen bestimmen. Und da finden wir natürlich: Mit Niersbach und dem DFB haben wird einen starken Partner.
Dennoch: Kann unter solchen Bedingungen eine WM stattfinden?
Meine Position ist ja, dass man jetzt erst einmal Druck machen muss, dass sich die Verhältnisse dort verbessen. Dabei ist als erstes wichtig, dass die ILO-Konvention unterschrieben wird, da ist Katar ja bisher nicht dabei. Die Menschen kommen da ja nicht hin, weil das Wetter so schön ist, sondern die wollen ihre Familien ernähren. Sie kommen wegen Versprechen in ihren Heimatländern, die dann in Katar von den Unternehmen nicht gehalten werden. Dort gibt es dann das Kafala-System, da werden den Menschen die Pässe abgenommen und sie können das Land gar nicht verlassen. So und das muss natürlich verändert werden. Dazu kommt, dass Katar ja kein armes Land ist, Katar ist ja ein saureicher Staat.
In Katar hast Du Dich vom offiziellen Besuchsprogramm entfernt, um Dich klandestin mit indischen Arbeitern zu treffen. Wenn man solche Spielarten beherrscht – warum fällt es dann so schwer, Lohndumping in Deutschland zu bekämpfen?
In Deutschland sind wir im Prinzip ähnlich unterwegs. Ich klage zwar jetzt die Zustände in Katar an, die sind ja gravierend. Aber auch in Deutschland muss das Thema Kontrolle sicherlich noch optimiert werden. Mittlerweile haben wir in ungeheuer vielen Bereichen Mindestlöhne und das Entsendegesetz. Aber was nutzen Standards, deren Einhaltung wir nicht kontrollieren? Das ist aber nur die eine Seite. Ich versuche jetzt seit einiger Zeit, auch gegenüber den Betriebsräten noch mehr Sensibilität zu erreichen, indem ich sage, wir müssen den Betriebsbegriff neu definieren. Wenn ich an einer großen Baustelle vorbeifahre, dann lohnt es sich doch mal, zu sagen: „Geh doch mal dahin, frag mal den Betriebsrat“. So, dann sagt der Betriebsrat: „Lohnt sich nicht, da haben wir keine eigenen Leute.“ Da haben wir noch Optimierungsbedarf in unserer Organisation und auch bei den Betriebsräten.
2004 hob die IG BAU den Europäischen Verband der Wanderarbeiter (EVW) aus der Taufe, 2008 wurde der Versuch faktisch beendet. Woran ist der EVW gescheitert?
2004 hob die IG BAU den Europäischen Verband der Wanderarbeiter (EVW) aus der Taufe, 2008 wurde der Versuch faktisch beendet. Woran ist der EVW gescheitert?
Wir haben den EVW nicht eingestellt, wir haben ihn nur insofern verändert, als dass die Mitgliedschaft der Entsendearbeitnehmer jetzt direkt bei der IG BAU begründet wird. Mittlerweile ist der EVW sehr stark eingebunden in die Beratungsstellen, die wir über den DGB in den verschiedenen Orten eingerichtet haben. Da bringen wir eine Menge Know-How mit und ich behaupte mal: Ohne den EVW liefen diese Beratungsstellen oft ins Leere. Dennoch: Wir tun uns verdammt schwer, die Wanderbewegungen der Arbeitnehmer wirklich nachzuvollziehen, sie gewerkschaftlich zu erreichen und zu organisieren. Und ich sag es nochmal: Es gelingt uns nicht alleine, wir brauchen den betrieblichen Player. Wir haben da mal eine Kampagne gemacht „Gute Arbeit in Europa – wir schauen hin“. Es reicht nicht, wenn wir als Organisation hinschauen.
Die IG BAU ist eine Organisation im Wandel. Aus der einstigen Bau- wurde eine BAU-Gewerkschaft, die mehr als ein Dutzend Branchen unter ihrem Dach vereinigt – etwa die stetig wachsende Gruppe der Gebäudereiniger. Eine gewaltige Transformation, die scheinbar völlig geräuschlos abläuft. Ist das so?
Ja, ich bin davon überzeugt, außer ich würde bestimmte Dinge nicht mitkriegen. Wobei wir uns nicht wandeln in der Form, dass wir nachher nur noch eine reine Dienstleistungsgewerkschaft sind. Die gewerblichen, vor allem baunahen Bereiche, werden immer ein ganz wichtiges Standbein der Organisation sein. Aber in der Tat holt der Dienstleistungsbereich bei uns sehr stark auf. Das ist auch gut so, denn das findet ja in der Regel alles in prekären Beschäftigungsverhältnissen statt und da zeigt es sich, dass die Betroffenen, vornehmlich die Frauen, auch sensibilisierbar sind für die gewerkschaftlichen Themen, weil es eigentlich ihre Themen sind. Beispiel industrielle Dienstleistungen: Da sind wir seit den 80er Jahren unterwegs, da waren diese Outsourcingprozesse, die damals losgegangen sind, für niemand anders überhaupt ein Thema. Wir haben uns der Arbeitnehmer dieser Betriebe angenommen, haben viele Haustarifverträge gemacht. Das Baugeschäft, das reine Baugeschäft, spielt eine immer kleinere Rolle.
Die IG BAU ist eine Organisation im Wandel. Aus der einstigen Bau- wurde eine BAU-Gewerkschaft, die mehr als ein Dutzend Branchen unter ihrem Dach vereinigt – etwa die stetig wachsende Gruppe der Gebäudereiniger. Eine gewaltige Transformation, die scheinbar völlig geräuschlos abläuft. Ist das so?
Ja, ich bin davon überzeugt, außer ich würde bestimmte Dinge nicht mitkriegen. Wobei wir uns nicht wandeln in der Form, dass wir nachher nur noch eine reine Dienstleistungsgewerkschaft sind. Die gewerblichen, vor allem baunahen Bereiche, werden immer ein ganz wichtiges Standbein der Organisation sein. Aber in der Tat holt der Dienstleistungsbereich bei uns sehr stark auf. Das ist auch gut so, denn das findet ja in der Regel alles in prekären Beschäftigungsverhältnissen statt und da zeigt es sich, dass die Betroffenen, vornehmlich die Frauen, auch sensibilisierbar sind für die gewerkschaftlichen Themen, weil es eigentlich ihre Themen sind. Beispiel industrielle Dienstleistungen: Da sind wir seit den 80er Jahren unterwegs, da waren diese Outsourcingprozesse, die damals losgegangen sind, für niemand anders überhaupt ein Thema. Wir haben uns der Arbeitnehmer dieser Betriebe angenommen, haben viele Haustarifverträge gemacht. Das Baugeschäft, das reine Baugeschäft, spielt eine immer kleinere Rolle.
Wie die meisten Organisationen präsentiert sich die IG BAU nach außen widerspruchsfrei. Intern sah das zuletzt anders aus: Da machten Vorwürfe die Runde, der scheidende Klaus Wiesehügel würde ungeliebte Kandidatinnen in den Vorstand hieven, ein anonymer „Brandbrief“ tauchte auf. Tenor: Die IG BAU verhalte sich nach innen nicht demokratisch, ein offenes Wort sei nicht gewünscht …
Es hat mich in der Tat sehr überrascht, was in der Presse stand. Ich hab das nicht so wahrgenommen, dass wir das offene Wort scheuen und Klaus Wiesehügel ist niemand, der Leute wahllos plattwalzt und niedermacht. Nach der Entscheidung des Gewerkschaftsbeirates, keine Frau für den Bundesvorstand zu nominieren, musste er als Vorsitzender etwas dazu sagen und er musste auch handeln. Es kann doch nicht sein, dass wir uns ans Mikro stellen und gegenüber der Wirtschaft bemängeln, dass zu wenig Frauen in Führungspositionen sind und dass man kaum Frauen in Vorständen findet und dann geht eine solche Gewerkschaftsorganisation hin und sagt: „Für uns gilt das nicht“. Der Gewerkschaftstag hat diese Einsicht dann ja auch gehabt und mit Ulrike Laux eine gute, hochqualifizierte Frau in den Bundesvorstand gewählt.
Es gab anonyme Einzelschreiben und dann gab es ein Schreiben von 14 Gewerkschaftssekretären, die aus ihrer Sicht geschrieben haben, wo die Arbeit innerhalb der IG BAU hingehen muss, dass sie erfolgreich ist. Ich habe das eher als eine Unterstützung empfunden. Es war kritisch, das ist richtig, aber ich habe das eher als Unterstützung empfunden. Wir haben uns darauf verständigt, dieses Schreiben in unser Intranet einzustellen. Mittlerweile haben wir dort ein Forum geschaffen, wo man im Prinzip Anregungen und Kritik furchtfrei äußern kann, was man vorher allerdings auch schon konnte.
Du selbst wurdest lange als Wiesehügel-Nachfolger gehandelt, hast Deine Kandidatur aber zurückgezogen, nachdem sich der Beirat für Robert Feiger ausgesprochen hatte. Der Gewerkschaftstag honorierte diesen Schritt mit 92 Prozent der Stimmen und damit dem mit Abstand besten Ergebnis aller Vorstandsmitglieder. Nur ein Trostpflaster? Oder auch eine Meinungsäußerung der Mitglieder?
Also, ich habe nicht zurückgezogen, weil der Gewerkschaftsbeirat eine andere Empfehlung, knapp eine andere Empfehlung gegeben hat. Ich war sicherlich überrascht darüber, hatte aber auch in den Wochen vor der Entscheidung deutlich gemacht, dass ich zu allen Dingen, die wir in der Vergangenheit gemacht haben stehe. Auch zur Restrukturierung der Organisation. Ich bin wochenlang damit schwanger gelaufen: „Kandidierst Du, kandidierst Du nicht?“, habe dann aber mitgekriegt, wie sich innerhalb der Organisation zwischen den Führungskräften, zwischen den Funktionären die Lager teilten. Das grundlegende Argument für mich war: Wenn ich gewählt werde, wovon ich ausgegangen war, wie kann ich dann die Gräben anschließend zuschütten? Nicht zu kandidieren, war die schwerste berufliche Entscheidung meines Lebens. Die habe ich auch sehr einsam getroffen. Aber für die Einheit der Organisation war es so das Beste. Ich denke, die knapp 93 Prozent bei den Vorstandswahlen waren eine Mischung aus Anerkennung dieser Entscheidung und meiner organisationspolitischen Ausrichtung.
Es gab anonyme Einzelschreiben und dann gab es ein Schreiben von 14 Gewerkschaftssekretären, die aus ihrer Sicht geschrieben haben, wo die Arbeit innerhalb der IG BAU hingehen muss, dass sie erfolgreich ist. Ich habe das eher als eine Unterstützung empfunden. Es war kritisch, das ist richtig, aber ich habe das eher als Unterstützung empfunden. Wir haben uns darauf verständigt, dieses Schreiben in unser Intranet einzustellen. Mittlerweile haben wir dort ein Forum geschaffen, wo man im Prinzip Anregungen und Kritik furchtfrei äußern kann, was man vorher allerdings auch schon konnte.
Du selbst wurdest lange als Wiesehügel-Nachfolger gehandelt, hast Deine Kandidatur aber zurückgezogen, nachdem sich der Beirat für Robert Feiger ausgesprochen hatte. Der Gewerkschaftstag honorierte diesen Schritt mit 92 Prozent der Stimmen und damit dem mit Abstand besten Ergebnis aller Vorstandsmitglieder. Nur ein Trostpflaster? Oder auch eine Meinungsäußerung der Mitglieder?
Also, ich habe nicht zurückgezogen, weil der Gewerkschaftsbeirat eine andere Empfehlung, knapp eine andere Empfehlung gegeben hat. Ich war sicherlich überrascht darüber, hatte aber auch in den Wochen vor der Entscheidung deutlich gemacht, dass ich zu allen Dingen, die wir in der Vergangenheit gemacht haben stehe. Auch zur Restrukturierung der Organisation. Ich bin wochenlang damit schwanger gelaufen: „Kandidierst Du, kandidierst Du nicht?“, habe dann aber mitgekriegt, wie sich innerhalb der Organisation zwischen den Führungskräften, zwischen den Funktionären die Lager teilten. Das grundlegende Argument für mich war: Wenn ich gewählt werde, wovon ich ausgegangen war, wie kann ich dann die Gräben anschließend zuschütten? Nicht zu kandidieren, war die schwerste berufliche Entscheidung meines Lebens. Die habe ich auch sehr einsam getroffen. Aber für die Einheit der Organisation war es so das Beste. Ich denke, die knapp 93 Prozent bei den Vorstandswahlen waren eine Mischung aus Anerkennung dieser Entscheidung und meiner organisationspolitischen Ausrichtung.
Binnen der letzten 20 Jahre haben wir bundesweit mehr als die Hälfte unserer Mitglieder verloren, ist in einigen Branchen kaum mehr (ver)handlungsfähig. Schon länger machen Gerüchte über einen. Wie lange ist die IG BAU noch eigenständig?
Ich muss jetzt noch sieben Jahre arbeiten, dann bin ich 65 Jahre und 9 Monate alt und dann geh´ ich in Rente. Diese IG BAU wird noch weit länger eigenständig sein.
Ich muss jetzt noch sieben Jahre arbeiten, dann bin ich 65 Jahre und 9 Monate alt und dann geh´ ich in Rente. Diese IG BAU wird noch weit länger eigenständig sein.
Ich bin davon überzeugt, dass wir in den nächsten drei Jahren den Turnaround hinkriegen und uns stabilisieren. Zumindest zeigen die letzten Jahre, dass sich der Mitgliederschwund recht stark abgeflacht hat. Ich habe immer gesagt, eine Fusion wird es mit mir als Vorstandsmitglied der Organisation nicht geben. Das sieht auch der gesamte Bundesvorstand so.
Nach dem Niedergang der deutschen Baukonzerne und fast drei Jahrzehnten Branchenkrise: Wie viel Gewerkschaft steckt noch in den Belegschaften?
Es gibt zwar heute weniger große Baukonzerne, mit weniger gewerblichem Personal, andererseits waren wir immer ein Wirtschaftsbereich, der kleinststrukturiert war. Wir haben heute 700.000 Beschäftigte am Bau – in 70.000 Betrieben. Das heißt, die Firmen, mit denen wir arbeiten sind in der Regel kleine Mittelständler oder Handwerksbetriebe. Das macht das Arbeiten und auch das Erreichen der Leute ein bisschen schwieriger als bei Siemens, TyssenKrupp und anderen Konzernen. Außerdem haben wir zwei Probleme: Einmal verändern sich die gesellschaftlichen Einstellungen kolossal. Da hat dieses neoliberale Penetrieren in Richtung Entsolidarisierung schon eine ganze Menge bewirkt. Und ganz besonders leiden wir unter der Erosion der Arbeitgeberverbände, die ja an mancher Stelle so schwach sind, dass sie gar nicht mehr als Tarifpartner auftreten können. Darum wird es in vielen Bereichen mehr und mehr zu Haustarifverträgen kommen. Das irre ist ja, den Gewerkschaften insgesamt gelingt es kaum noch, starke Mitgliedschaften in Flächentarifverträgen zu organisieren. Da sind wir oft froh, wenn wir den Stand halten. Aber da, wo wir Haustarifverträge abschließen, erreichen wir sehr schnell Organisationsgrade von 80 bis teilweise 100 Prozent.
Nach dem Niedergang der deutschen Baukonzerne und fast drei Jahrzehnten Branchenkrise: Wie viel Gewerkschaft steckt noch in den Belegschaften?
Es gibt zwar heute weniger große Baukonzerne, mit weniger gewerblichem Personal, andererseits waren wir immer ein Wirtschaftsbereich, der kleinststrukturiert war. Wir haben heute 700.000 Beschäftigte am Bau – in 70.000 Betrieben. Das heißt, die Firmen, mit denen wir arbeiten sind in der Regel kleine Mittelständler oder Handwerksbetriebe. Das macht das Arbeiten und auch das Erreichen der Leute ein bisschen schwieriger als bei Siemens, TyssenKrupp und anderen Konzernen. Außerdem haben wir zwei Probleme: Einmal verändern sich die gesellschaftlichen Einstellungen kolossal. Da hat dieses neoliberale Penetrieren in Richtung Entsolidarisierung schon eine ganze Menge bewirkt. Und ganz besonders leiden wir unter der Erosion der Arbeitgeberverbände, die ja an mancher Stelle so schwach sind, dass sie gar nicht mehr als Tarifpartner auftreten können. Darum wird es in vielen Bereichen mehr und mehr zu Haustarifverträgen kommen. Das irre ist ja, den Gewerkschaften insgesamt gelingt es kaum noch, starke Mitgliedschaften in Flächentarifverträgen zu organisieren. Da sind wir oft froh, wenn wir den Stand halten. Aber da, wo wir Haustarifverträge abschließen, erreichen wir sehr schnell Organisationsgrade von 80 bis teilweise 100 Prozent.
2007 beschlossen CDU und SPD die Rente mit 67, Begründung: Wir können uns ein früheres Renteneintrittsalter nicht mehr leisten. Vor wenigen Tagen nun gab die Deutsche Rentenversicherung zum zweiten Mal in Folge Milliardenüberschüsse bekannt, empfahl eine erneute Beitragssenkung. Wie schützt Du Dich vor Zynismus?
Das zu empfehlen ist das eine. Aber wer das umsetzt, der muss ja von Schwachsinnigkeit geprägt sein. Ich erwarte jetzt von den Koalitionsverhandlungen, dass mit diesem Unfug einer weiteren Rentenbeitragssenkung aufgehört wird.
Das zu empfehlen ist das eine. Aber wer das umsetzt, der muss ja von Schwachsinnigkeit geprägt sein. Ich erwarte jetzt von den Koalitionsverhandlungen, dass mit diesem Unfug einer weiteren Rentenbeitragssenkung aufgehört wird.
Denn letztlich kann man ja der Bevölkerung nicht erklären, es sei nicht genug Geld vorhanden, um perspektivisch die Renten zu sichern und auf der anderen Seite die Einnahmen senken. Man muss das Geld im Rentensystem belassen, um die Nachhaltigkeitsreserve auszuweiten auf sagen wir mal zwei oder zweieinhalb Monate. Außerdem erwarten wir, dass die Überprüfungsklausel bei der Rente mit 67 ernst genommen wird: Sind wirklich mehr als 50 Prozent der 60 bis 64jährigen sozialversicherungspflichtig beschäftigt? Jetzt die Beiträge zu senken - das hilft nur den Großen, den Arbeitgebern, den Unternehmen, den Konzernen. Das hilft aber nicht den Arbeitnehmern, die dann vielleicht im Monat zwei Euro mehr in der Tasche haben.
Das Interview führte Olaf Harning. Es erschien zunächst in gekürzter Fassung in der Tageszeitung "Neues Deutschland".
Das Interview führte Olaf Harning. Es erschien zunächst in gekürzter Fassung in der Tageszeitung "Neues Deutschland".