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Von Entscheidern und "anderen Rollen"
28.01.2015
Archivmeldungen 2015
www.igbau-hamburg.de: Sehr geehrter Herr Dr. Gysi! Am 22. Januar sind Sie zum zweiten Mal bei der IG BAU Hamburg zu Gast. Was verbinden Sie mit diesem Auftritt, was ist Ihre Botschaft an die Gewerkschafter?
Gregor Gysi: Ich war und bin bei sehr verschiedenartigen Veranstaltungen und Organisationen zu Gast, darunter auch Gewerkschaften. Gewerkschaften haben einen Vorzug: sie sind Organisationen der sogenannten „Arbeitnehmerinnen“ und „Arbeitnehmer“, also der Werktätigen. Gewerkschaften sind zwar etwas anderes als Parteien, aber sowohl die Gewerkschaften als auch meine Partei haben eine gemeinsame historische Wurzel: die Arbeiterbewegung. Da fühle ich mich einfach wohler als bei einer Gesellschaft sehr reicher Leute. Meine Botschaft an die Gewerkschafter ist eine einfache: Ich möchte wissen, welche Probleme in den Auseinandersetzungen mit der Kapitalseite sich konkret stellen, damit das auch einer parlamentarischen Bearbeitung zugänglich gemacht werden kann. Und ich wünsche sie mir etwas rebellischer.
www.igbau-hamburg.de: Seit März 2011 regiert die SPD in Hamburg allein. Die Menschen sind zufrieden, Bürgermeister Olaf Scholz feiert anhaltend hohe Umfragewerte und selbst die massive Wohnungsnot scheint der Senat langsam in den Griff zu kriegen. Wie kommen Sie und DIE LINKE da ins Spiel, zum Beispiel bei der Bürgerschaftswahl am 15. Februar?
Gregor Gysi: Zunächst finde ich es gut, wenn Menschen zufrieden sind, wenn sich die Wohnungsmarktsituation bessert usw. Da stört es mich auch überhaupt nicht, wenn Olaf Scholz sich diese Dinge gut schreibt - das Nörgeln überlasse ich da gerne den Konservativen. Ich kann meiner Partei in Hamburg natürlich keine Vorschriften machen. Aber die Wahlkampfkommunikation, die ich in einem vergleichbaren Fall vorschlagen würde, wäre: Es ist gut, dass einige Dinge gut laufen. Aber damit es auch so bleibt, braucht die SPD eine kritische Begleitung von links. Wenn man das erst einmal verdeutlicht hat, kann man auch Kritik üben an Dingen, die doch nicht gut gelaufen sind und diesbezügliche Vorschläge platzieren.
Außerdem ist es wichtig zu verdeutlichen, dass Opposition kein Makel ist, sondern dass wichtige Veränderungen auch durchs Opponieren erreicht werden können. DIE LINKE, das klingt merkwürdig, ist aber belegbar, ist eine sehr erfolgreiche Oppositionspartei. Aber bisher haben wir auch in Regierungen Projekte, die uns wichtig waren, umsetzen können.
Gregor Gysi: Ich war und bin bei sehr verschiedenartigen Veranstaltungen und Organisationen zu Gast, darunter auch Gewerkschaften. Gewerkschaften haben einen Vorzug: sie sind Organisationen der sogenannten „Arbeitnehmerinnen“ und „Arbeitnehmer“, also der Werktätigen. Gewerkschaften sind zwar etwas anderes als Parteien, aber sowohl die Gewerkschaften als auch meine Partei haben eine gemeinsame historische Wurzel: die Arbeiterbewegung. Da fühle ich mich einfach wohler als bei einer Gesellschaft sehr reicher Leute. Meine Botschaft an die Gewerkschafter ist eine einfache: Ich möchte wissen, welche Probleme in den Auseinandersetzungen mit der Kapitalseite sich konkret stellen, damit das auch einer parlamentarischen Bearbeitung zugänglich gemacht werden kann. Und ich wünsche sie mir etwas rebellischer.
www.igbau-hamburg.de: Seit März 2011 regiert die SPD in Hamburg allein. Die Menschen sind zufrieden, Bürgermeister Olaf Scholz feiert anhaltend hohe Umfragewerte und selbst die massive Wohnungsnot scheint der Senat langsam in den Griff zu kriegen. Wie kommen Sie und DIE LINKE da ins Spiel, zum Beispiel bei der Bürgerschaftswahl am 15. Februar?
Gregor Gysi: Zunächst finde ich es gut, wenn Menschen zufrieden sind, wenn sich die Wohnungsmarktsituation bessert usw. Da stört es mich auch überhaupt nicht, wenn Olaf Scholz sich diese Dinge gut schreibt - das Nörgeln überlasse ich da gerne den Konservativen. Ich kann meiner Partei in Hamburg natürlich keine Vorschriften machen. Aber die Wahlkampfkommunikation, die ich in einem vergleichbaren Fall vorschlagen würde, wäre: Es ist gut, dass einige Dinge gut laufen. Aber damit es auch so bleibt, braucht die SPD eine kritische Begleitung von links. Wenn man das erst einmal verdeutlicht hat, kann man auch Kritik üben an Dingen, die doch nicht gut gelaufen sind und diesbezügliche Vorschläge platzieren.
Außerdem ist es wichtig zu verdeutlichen, dass Opposition kein Makel ist, sondern dass wichtige Veränderungen auch durchs Opponieren erreicht werden können. DIE LINKE, das klingt merkwürdig, ist aber belegbar, ist eine sehr erfolgreiche Oppositionspartei. Aber bisher haben wir auch in Regierungen Projekte, die uns wichtig waren, umsetzen können.
www.igbau-hamburg.de: Am 1. Januar ist der neue, gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro in Kraft getreten, am Bau stieg der hier geltende Branchenmindestlohn für Facharbeiter auf 14,20 Euro. Und fast 7.000 Zöllner kontrollieren die Einhaltung der Lohnuntergrenzen. Alles super. Oder?
Gregor Gysi: Selbstverständlich ist es gut, dass es den Mindestlohn erst einmal gibt. Aber es ist eben nicht alles super. Es gibt drei Komplexe: Höhe des Mindestlohns, Ausnahmen und Umgehungstrategien. Zunächst zur Höhe. DIE LINKE hat aus gutem Grund eine Einstiegshöhe von 10,00€ gefordert. Unsere Überlegung war, dass ein Mindestlohn die Aufstockerei verhindern sollte, die ja eine staatliche Profitsubventionierung ist.
Gregor Gysi: Selbstverständlich ist es gut, dass es den Mindestlohn erst einmal gibt. Aber es ist eben nicht alles super. Es gibt drei Komplexe: Höhe des Mindestlohns, Ausnahmen und Umgehungstrategien. Zunächst zur Höhe. DIE LINKE hat aus gutem Grund eine Einstiegshöhe von 10,00€ gefordert. Unsere Überlegung war, dass ein Mindestlohn die Aufstockerei verhindern sollte, die ja eine staatliche Profitsubventionierung ist.
Zudem muss er den Niedriglohnsektor eindämmen. Außerdem soll der Mindestlohn die Gefahr der Altersarmut begrenzen. Diese Anforderungen zusammen genommen hatten uns dazu motiviert, die Höhe von 10,00€ zu fordern. Das Mindestlohngesetz der Bundesregierung lässt außerdem erhebliche Ausnahmen zu, d.h. viele Menschen, die von einer Mindestlohnregelung profitieren würden, bekommen ihn nicht. Auch sind einige Branchen ausgenommen, etwa Zeitungsausträgerinnen und -austräger. Nahles erklärte: „Wir geben der Arbeit ihren Wert zurück“, aber offenbar ist in ihren Augen die Arbeit mancher Menschen dann doch nicht so viel wert. Und das kann ich als Linker nicht akzeptieren.
Schließlich gibt es ein Problem mit Umgehungsstrategien. Jede und jeder, der einmal das „Kapital“ von Marx gelesen hat, kennt das Problem der Intensivierung der Arbeit. Ich kann Maschinen doppelt so schnell laufen lassen, dann muss die Arbeitskraft doppelt so schnell arbeiten, d.h. real wird nur die Hälfte der verausgabten Arbeitskraft bezahlt. Das ist nur eine Form der manipulierten Arbeitszeiterfassung. Aber das Problem ist geblieben und kann auch heute zur Untergrabung des Mindestlohns genutzt werden. Aus der Gebäudereinigung kenne ich das Problem der Anhebung von Normen. In der vorgegebenen Arbeitszeit kann nicht so viel geschafft werden wie die Norm vorgibt. Jetzt lese ich, dass das Finanzministerium bei „mobilen“ Tätigkeiten die exakte Arbeitszeitdokumentationspflicht lockern will und damit natürlich manipulationsanfällig macht.
Schließlich, und das betrifft dann die Schwarzarbeit, ist das Finanzministerium zwar durchaus der Auffassung, dass mehr Kontrolleure nötig sind, die geplanten Stellen sollen aber erst 2019 besetzt werden. Das ist eine Einladung zur Schwarzarbeit, zumindest bis dahin. Es ist auch eine Einladung zur verschärften Ausbeutung und ein eingeplanter Steuerausfall. Und das bedeutet auch ausbleibende Einzahlungen in die Sozialsysteme. Es fällt mir manchmal schwer, das Wort „Kumpanei“ zu vermeiden.
Schließlich gibt es ein Problem mit Umgehungsstrategien. Jede und jeder, der einmal das „Kapital“ von Marx gelesen hat, kennt das Problem der Intensivierung der Arbeit. Ich kann Maschinen doppelt so schnell laufen lassen, dann muss die Arbeitskraft doppelt so schnell arbeiten, d.h. real wird nur die Hälfte der verausgabten Arbeitskraft bezahlt. Das ist nur eine Form der manipulierten Arbeitszeiterfassung. Aber das Problem ist geblieben und kann auch heute zur Untergrabung des Mindestlohns genutzt werden. Aus der Gebäudereinigung kenne ich das Problem der Anhebung von Normen. In der vorgegebenen Arbeitszeit kann nicht so viel geschafft werden wie die Norm vorgibt. Jetzt lese ich, dass das Finanzministerium bei „mobilen“ Tätigkeiten die exakte Arbeitszeitdokumentationspflicht lockern will und damit natürlich manipulationsanfällig macht.
Schließlich, und das betrifft dann die Schwarzarbeit, ist das Finanzministerium zwar durchaus der Auffassung, dass mehr Kontrolleure nötig sind, die geplanten Stellen sollen aber erst 2019 besetzt werden. Das ist eine Einladung zur Schwarzarbeit, zumindest bis dahin. Es ist auch eine Einladung zur verschärften Ausbeutung und ein eingeplanter Steuerausfall. Und das bedeutet auch ausbleibende Einzahlungen in die Sozialsysteme. Es fällt mir manchmal schwer, das Wort „Kumpanei“ zu vermeiden.
www.igbau-hamburg.de: Über Jahrzehnte waren die DGB-Gewerkschaften eng mit der SPD verzahnt, bis heute haben ihre Spitzenfunktionäre meist das „richtige“ Parteibuch in der Tasche. Warum tun sich Gewerkschaften so schwer mit der LINKEN, oder anders gefragt: Tut sich DIE LINKE schwer mit den Gewerkschaften?
Gregor Gysi: Das parlamentarische Feld zerfällt in zwei Gruppen: Die „Entscheider“ und die Opposition. Die Sozialdemokratie und die Konservativen sind Entscheider oder wenigstens Mitentscheider. Da Gewerkschaften Interessenvertreterorganisationen sind, ist ein Parteibuch von Entscheider-Organisationen sehr nützlich. Das erleichtert die Etablierung informeller Gesprächskanäle. DIE LINKE ist – auf der Bundesebene – Opposition. Aber wozu ist DIE LINKE gut? Nehmen wir doch noch einmal den Mindestlohn. Die SPD hat ihn mit durchgesetzt und will ihn als Punktsieg verbuchen. Als wir das erste Mal diese Forderung in den Bundestag einbrachten, war die SPD dagegen. 2013 wurde er beschlossen. Und das zeigt unsere Bedeutung. Kritik an seinen Unzulänglichkeiten, und die wird es ziemlich bald geben, wird die SPD auf alles Mögliche beziehen: dass Unternehmerinnen und Unternehmer manchmal auch ganz schön egoistisch seien, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eben nicht mutig genug seien und vieles mehr; aber sie wird Kritik nicht auf ihre Heldentaten beziehen. Dafür benötigt man Parteien wie DIE LINKE. Die können Kritik richtig adressieren.
Aber damit muss ich bereits zu Ihrer anderen Frage kommen. DIE LINKE hat – messbar seit der letzten Landtagswahl im Saarland – besonders innerhalb der gewerkschaftlich Organisierten verloren. Nur in Ostdeutschland hat sie diesen Anteil halten können. Das Bittere daran ist aber, dass es viel weniger gewerkschaftlich Organisierte im Osten gibt. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen, ein sehr wichtiger Grund war aber die Krise der Partei. Wenn Wählerinnen und Wähler den Eindruck haben, dass es einer Partei um Anderes als die Anliegen derer, die sie wählten, geht, dann nehmen sie das übel. Und zu Recht. Einen anderen Grund sehe ich darin, dass wir sehr lange die Frage vernachlässigt haben, welchen Nutzen die Partei für gewerkschaftlich Aktive in ihrer Gewerkschaftsarbeit konkret hat. Bezüglich der SPD ist das klar. Wir haben eine andere Rolle und das verunklart die Situation. Aber genau deswegen besuche ich Gewerkschaftsveranstaltungen.
www.igbau-hamburg.de: Kürzlich wurde eine Umfrage veröffentlicht, die deutlich machte: So sehr sich DIE LINKE auch von der „PEGIDA“-Bewegung distanziert – ihre Wählerschaft sympathisiert derart zahlreich mit den schaurig-schrägen Dresdener Demos, wie sonst nur die Anhänger der AfD. Auch die IG BAU hat gelegentlich das Problem, sich zwar als Organisation von rassistischen Tönen abzugrenzen, aus der Mitgliedschaft auch immer mal wieder ein leises „Ausländer raus!“ zu hören. Wie erklären Sie sich diese Phänomene, gerade in Organisationen der Arbeiterbewegung?
Gregor Gysi: Wenn wir ehrlich sind, wissen wir, dass das in der Endphase der Weimarer Republik auch schon so war. Und was haben nicht SPD und KPD alles gegen Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus unternommen! Offenbar verstärken gesellschaftliche Krisensituationen autoritäre Dispositionen, die sich gegen alles und alle wenden, die nicht zu einem imaginierten „Wir“ gehören sollen. Da ist es zweitrangig, was an die Stelle des „Fremden“ gehört. Aber es ist immer ein Irrtum: Wenn ich auf schwächere einschlage, werde ich nicht stärker. Wenn ich noch ärmere ausgrenze, ist keine Garantie dabei, dass ich bei der Verteilung des Reichtums etwas mehr abbekomme. Die Ausgrenzung des Schwachen ist die Ersatzbefriedigung für versagte Gerechtigkeit. Faschisten und Rechtspopulisten unterbreiten diese Ersatzbefriedigung als politisches Angebot. Wir müssen da höllisch aufpassen.
www.igbau-hamburg.de: „Das muss drin sein. Leben ohne Zumutungen“ – so heißt eine langfristig angelegte Kampagne, mit der Ihre Partei das Problem prekärer, soll heißen: unsicherer Arbeitsverhältnisse angehen will. Wie wollen Sie die Menschen aktivieren, vor allem die Betroffenen?
Wir gehen davon aus, dass Menschen einigermaßen vernunftbegabt sind und ihre Interessen erkennen können. Wenn sie sie erkennen, dann können sie auch etwas dafür tun. Das heißt primär nicht „LINKE wählen“. Das ist keine verkappte Wahlkampfaktion. Wir möchten den Betroffenen klarmachen, dass sie sich wehren müssen. Wir hätten auch eine Zeile aus der „Internationale“ nehmen können: „Uns aus dem Elend zu erlösen, können nur wir selber tun“. Ich glaube nicht, dass Sie das in Ihrer Gewerkschaftsarbeit grundsätzlich anders sehen.
www.igbau-hamburg.de: Herr Gysi, wir danken für dieses Interview!
Mit Gregor Gysi sprach Olaf Harning.
Gregor Gysi: Das parlamentarische Feld zerfällt in zwei Gruppen: Die „Entscheider“ und die Opposition. Die Sozialdemokratie und die Konservativen sind Entscheider oder wenigstens Mitentscheider. Da Gewerkschaften Interessenvertreterorganisationen sind, ist ein Parteibuch von Entscheider-Organisationen sehr nützlich. Das erleichtert die Etablierung informeller Gesprächskanäle. DIE LINKE ist – auf der Bundesebene – Opposition. Aber wozu ist DIE LINKE gut? Nehmen wir doch noch einmal den Mindestlohn. Die SPD hat ihn mit durchgesetzt und will ihn als Punktsieg verbuchen. Als wir das erste Mal diese Forderung in den Bundestag einbrachten, war die SPD dagegen. 2013 wurde er beschlossen. Und das zeigt unsere Bedeutung. Kritik an seinen Unzulänglichkeiten, und die wird es ziemlich bald geben, wird die SPD auf alles Mögliche beziehen: dass Unternehmerinnen und Unternehmer manchmal auch ganz schön egoistisch seien, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eben nicht mutig genug seien und vieles mehr; aber sie wird Kritik nicht auf ihre Heldentaten beziehen. Dafür benötigt man Parteien wie DIE LINKE. Die können Kritik richtig adressieren.
Aber damit muss ich bereits zu Ihrer anderen Frage kommen. DIE LINKE hat – messbar seit der letzten Landtagswahl im Saarland – besonders innerhalb der gewerkschaftlich Organisierten verloren. Nur in Ostdeutschland hat sie diesen Anteil halten können. Das Bittere daran ist aber, dass es viel weniger gewerkschaftlich Organisierte im Osten gibt. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen, ein sehr wichtiger Grund war aber die Krise der Partei. Wenn Wählerinnen und Wähler den Eindruck haben, dass es einer Partei um Anderes als die Anliegen derer, die sie wählten, geht, dann nehmen sie das übel. Und zu Recht. Einen anderen Grund sehe ich darin, dass wir sehr lange die Frage vernachlässigt haben, welchen Nutzen die Partei für gewerkschaftlich Aktive in ihrer Gewerkschaftsarbeit konkret hat. Bezüglich der SPD ist das klar. Wir haben eine andere Rolle und das verunklart die Situation. Aber genau deswegen besuche ich Gewerkschaftsveranstaltungen.
www.igbau-hamburg.de: Kürzlich wurde eine Umfrage veröffentlicht, die deutlich machte: So sehr sich DIE LINKE auch von der „PEGIDA“-Bewegung distanziert – ihre Wählerschaft sympathisiert derart zahlreich mit den schaurig-schrägen Dresdener Demos, wie sonst nur die Anhänger der AfD. Auch die IG BAU hat gelegentlich das Problem, sich zwar als Organisation von rassistischen Tönen abzugrenzen, aus der Mitgliedschaft auch immer mal wieder ein leises „Ausländer raus!“ zu hören. Wie erklären Sie sich diese Phänomene, gerade in Organisationen der Arbeiterbewegung?
Gregor Gysi: Wenn wir ehrlich sind, wissen wir, dass das in der Endphase der Weimarer Republik auch schon so war. Und was haben nicht SPD und KPD alles gegen Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus unternommen! Offenbar verstärken gesellschaftliche Krisensituationen autoritäre Dispositionen, die sich gegen alles und alle wenden, die nicht zu einem imaginierten „Wir“ gehören sollen. Da ist es zweitrangig, was an die Stelle des „Fremden“ gehört. Aber es ist immer ein Irrtum: Wenn ich auf schwächere einschlage, werde ich nicht stärker. Wenn ich noch ärmere ausgrenze, ist keine Garantie dabei, dass ich bei der Verteilung des Reichtums etwas mehr abbekomme. Die Ausgrenzung des Schwachen ist die Ersatzbefriedigung für versagte Gerechtigkeit. Faschisten und Rechtspopulisten unterbreiten diese Ersatzbefriedigung als politisches Angebot. Wir müssen da höllisch aufpassen.
www.igbau-hamburg.de: „Das muss drin sein. Leben ohne Zumutungen“ – so heißt eine langfristig angelegte Kampagne, mit der Ihre Partei das Problem prekärer, soll heißen: unsicherer Arbeitsverhältnisse angehen will. Wie wollen Sie die Menschen aktivieren, vor allem die Betroffenen?
Wir gehen davon aus, dass Menschen einigermaßen vernunftbegabt sind und ihre Interessen erkennen können. Wenn sie sie erkennen, dann können sie auch etwas dafür tun. Das heißt primär nicht „LINKE wählen“. Das ist keine verkappte Wahlkampfaktion. Wir möchten den Betroffenen klarmachen, dass sie sich wehren müssen. Wir hätten auch eine Zeile aus der „Internationale“ nehmen können: „Uns aus dem Elend zu erlösen, können nur wir selber tun“. Ich glaube nicht, dass Sie das in Ihrer Gewerkschaftsarbeit grundsätzlich anders sehen.
www.igbau-hamburg.de: Herr Gysi, wir danken für dieses Interview!
Mit Gregor Gysi sprach Olaf Harning.