Gesetzesbücher und Bauhelm in einer Kanzlei.
Meinungsfreiheit im Arbeitsverhältnis hat Grenzen (Foto: IG BAU).
30.05.2023
Rechtsprechung

Auch im Arbeitsverhältnis können sich Arbeitnehmer:innen auf das Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Dass dieses Recht nicht grenzenlos gilt, zeigt eine Entscheidung des LAG Köln vom 30.09.2020 (55a231/20). 

Hier bestand zwischen den Arbeitsvertragsparteien ein Arbeitsverhältnis, das mit "belastet" noch zurückhaltend beschrieben ist. So kam es durch die Arbeitgeberin im Jahr 2013 zu insgesamt 10 Abmahnungen, im Jahr 2015 zu drei Kündigungen und im Jahr 2017 zu zwei weiteren Kündigungen.

Alle Abmahnungen und Kündigungen wurden von den Arbeitsgerichten für unwirksam befunden. 2018 erhob der Arbeitnehmer dann massive Vorwürfe gegen seine Vorgesetzten, beschuldigte sie u.a. der Verschwendung von Geldern, der systematischen Verfolgung kompetenter Mitarbeiter:innen, der Menschenrechtsverletzung, der Manipulation von Forschungsergebnissen und der Drogensucht durch Nikotinkonsum. Die Vorwürfe erhob er gegenüber einem Bundesministerium, das die Aufsichtsfunktion bei der Arbeitgeberin innehat sowie gegenüber weiteren Personen. Er forderte in den Schreiben u.a. die Entlassung seiner Vorgesetzten.

Die Arbeitgeberin kündigte dann erneut - und diese Kündigung war nach Auffassung des LAG Köln gerechtfertigt. Das LAG kam zu dem Ergebnis, dass der Arbeitnehmer mit seinen Äußerungen gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme (§241 Abs. 2 BGB) verstoßen habe und die Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen somit zulässig war. Zwar dürfen Arbeitnehmer:innen auch unternehmensöffentlich Kritik an ihrem Arbeitgeber/ihrer Arbeitgeberin üben, dies durchaus auch überspitzt.

Das LAG hat hier aber zulasten des Arbeitnehmers die Wahl der Adressaten (u.a. Dritte, die mit dem Arbeitsverhältnis nichts zu tun haben) sowie die Tatsache, dass der Arbeitnehmer die Entlassung seiner Vorgesetzten gefordert habe, ausgelegt. Letzteres zeige, dass es dem Arbeitnehmer nicht darum gegangen sei, Missstände bei der Arbeitgeberin aufzuzeigen, sondern "Rache" an seinen Vorgesetzten zu üben.

Rechte der Beschäftigten.
Foto: IG BAU.

Inhaltlich seien die meisten Äußerungen des Arbeitnehmers zwar als Meinungsäußerung einzustufen, unter Abwägung der Meinungsfreiheit mit den Persönlichkeitsrechten der beschuldigten Personen sei aber trotzdem davon auszugehen, das der Arbeitnehmer seine Pflicht zur Rücksichtnahme verletzt habe, da der Kläger ganz erhebliche Vorwürfe gegen die beschuldigten Personen erhoben habe, die den gleichen Unwertsgehalt wie Straftaten hätten.

Dieser Text wurde uns freundlicherweise von Rechtsanwalt Christopher Kaempf von der Kanzlei Müller-Knapp, Hjort, Wulff zur Verfügung gestellt.

Die Entscheidung belegt, dass die Meinungsfreiheit auch innerbetrieblich gilt, aber dies nicht grenzenlos. Kritik ist also grundsätzlich erlaubt, aber es ist immer zu schauen, in welchem Rahmen sie wie geübt wird. Sobald eine Kritik ausschließlich geäußert wird, um anderen zu schaden, ist sie, wie die Entscheidung zeigt, problematisch.

Da nützt es dann ggf. auch nicht, dass es eine gewisse Vorgeschichte gab, die von der Arbeitgeberin durch mehrfache Kündigungen etc. herbeigeführt wurde. Dies hatte das LAG Köln in seiner Abwägung durchaus berücksichtigt, aber auch gemeint, dass das frühere Fehlverhalten der Arbeitgeberin kein "Freibrief" gewesen sei, derart massive Vorwürfe auf diese Weise zu erheben.