Hamburgs DGB-Vorsitzende Katja Karger (Foto: DGB)
13.03.2014
Archivmeldungen 2014
Mit 44 Jahren ist Katja Karger nicht nur die jüngste, sondern sie auch die erste Frau an der Spitze der Hamburger Gewerkschaften. 2001 hatte die gelernte Industriekauffrau bei »Pixelpark« den ersten Betriebsrat der »New Economy« gegründet, war wenig später zum ver.di-Projekt »connex.av« gewechselt. Nach ihrem Studium der Philosophie und Kulturwissenschaften bewarb sie sich aus der Arbeitslosigkeit heraus für den Vorsitz des DGB. Mit ihr sprach Olaf Harning.
Frau Karger, am 22. Oktober wurden Sie an die Spitze der Hamburger Gewerkschaften gewählt – als erste Frau, als Erste ohne SPD-Parteibuch und auch so jung war bislang noch niemand in Ihrem Amt. Wie konnte das bloß passieren?

Ich würde es eher andersherum formulieren: Genau das alles waren Gründe, die eher für mich sprachen, als gegen mich. Überall, wo ich auftauche, sind die Leute genau darüber begeistert: Dass ich so jung bin, dass ich ´ne Frau bin und nicht zur SPD gehöre. Und was dabei gerne übersehen wird: Ich kann ja was, das ist ja durchaus auch eine Entscheidung für eine Qualifikation.
 
Portrait Katja Karger (Foto: DGB)
Sie sind gebürtige Bremerin, haben lange in Berlin gelebt. Was sind Ihre Eindrücke von Hamburg, das Sie kürzlich einmal die „Hauptstadt der Leiharbeiter“ nannten?

Es gibt Dinge, die merkt man immer erst, wenn man eine Vergleichsfolie hat, und meine „Vergleichsfolie Berlin“ heißt: „Ich bin arm, aber sexy“. Und das ist das, was mir an Hamburg am ehesten auffällt, dass hier die Unterschiede sehr viel auffälliger sind, dass die Kontraste zwischen Arm und Reich sehr viel brutaler zutage treten. Auf der einen Seite herrscht eine Porsche-Dichte, die ist wirklich unfassbar und gleichzeitig haben wir rund um den Hauptbahnhof unglaublich viel Armut, viele Bettler.
Und mir fällt auf, dass die Konflikte auf eine andere Art und Weise ausgetragen werden in Hamburg. Es scheint eine ganz andere Einmischungskultur zu geben, ein „wir wollen Teil der Stadt sein!“. Das ist etwas, das in Berlin eigentlich nicht mehr existiert.

Eines Ihrer ersten Projekte in Hamburg war und ist, den 1. Mai umzukrempeln. Warum? Und wie?

Ich bin etwas vorsichtig mit den starken Begriffen … „umkrempeln“ würde ich das jetzt nicht nennen. Wir müssen uns aber fragen: Für wen machen wir eigentlich diesen 1. Mai? Es ist unser Fest, es ist ein Gewerkschaftsfest und aus diesem Grunde kehren zurück in unser Haus. Die wesentliche Neuerung ist aber, dass der 1. Mai viel dialogischer, viel mitgliederbezogener gestaltet sein wird. Wir wollen keine Drei-Stunden-Reden mehr, wo da oben auf der Bühne jemand steht und redet und da unten das Publikum das irgendwie aufnehmen muss. Und meistens tut es das ja nicht, wenn wir ehrlich sind (lacht). Ich glaube, dass wir uns als Gewerkschaft am 1. Mai wieder anders mit den Leuten unterhalten sollen und müssen.
 
Katja Karger mit Hamburgs IG BAU-Chef Matthias Maurer und Regionalleiter André Grundmann auf einer Sitzung des Bezirksbeirats: Während sie die Senioren verstärkt einbinden will, hält die IG BAU-Spitze die bestehenden Beteiligungsmöglichkeiten für ausreichend. (Foto: IG BAU)

Katja Karger auf der Sitzung des IG BAU-Bezirksbeirats im Dezember, neben ihr Hamburgs IG BAU-Chef Matthias Maurer und Regionalleiter André Grundmann. Uneinigkeit herrschte hier nur in der Frage der Beteiligung gewerkschaftlicher Seniorengruppen. (Foto: IG BAU)

Die größten „gewerkschaftlichen Baustellen“ der Hansestadt sind für Katja Karger …

Die Leiharbeit ist mit Sicherheit ein Thema – und was damit zusammenhängt: die Überbelastung. Wenn Sigmar Gabriel heute verkündet, wir werden wahnsinnig viele Arbeitsplätze bekommen, werden wir Gewerkschafter wahnsinnig viel damit zu tun haben, auf die Qualität dieser Arbeitsplätze zu gucken. Die meisten Menschen arbeiten heute für eineinhalb oder zwei Personen, das heißt: Sie sind überlastet, sie sind ausgebrannt, sie sind fertig. Wir haben in Hamburg den größten Krankenstand, was psychische Belastung angeht, dafür gibt es einen Grund. Und das Zweite ist natürlich die soziale Stadt, dass Hamburg nicht auseinanderbricht aus seinem Arm und Reich, sondern wieder zusammenwächst.
Thema Mindestlohn: Trotz öffentlicher Debatte und Koalitionsbeschluss suchen Backshops und Supermärkte munter weiter nach Minijobbern für 6 Euro. Wie wollen Sie da Ordnung schaffen?

Man muss das immer als Prozess begreifen. Auch 8,50 Euro – und wir wissen alle: Das ist ein Hungerlohn – fallen nicht über Nacht vom Himmel. Dieser Mindestlohn muss auf unterschiedlichen Wegen und gleichzeitig von unterschiedlichen Akteuren durchgesetzt werden. Wir haben in Hamburg den Hamburger Mindestlohn, das ist ein Element. Der gilt aber nur für die Betriebe des Öffentlichen Dienstes. Wir bekommen jetzt ein Bundesgesetz, eine weitere Stellschraube. Wir haben immer mehr Tarifverträge und damit tarifgebundene Betriebe, die mindestens einen Lohn von 8,50 Euro ein- und damit durchsetzen. Ich muss aber genauso an jeden einzelnen Beschäftigten appellieren: Solange der Arbeitgeber noch jemanden findet, der für vier Euro malocht, werden wir immer Schwierigkeiten haben, etwas anderes durchzusetzen.

2001 gründeten Sie bei „Pixelpark“ den ersten Betriebsrat der „New Economy“. Wie gelang es Ihnen, in diesem „ich kann das alleine“-Klima, für Mitbestimmung zu werben?

Du musst Leute im Betrieb haben und Du musst die Sprache der Leute sprechen. Wir haben uns damals nicht mit Flugblättern vors Werkstor gestellt, weil das inadäquat gewesen wäre. Wir haben E-Mail-Aktionen in den Betrieb hinein organisiert, eine entsprechende Website aufgebaut, eine Forumsdiskussion und damit erst einmal eine grundsätzliche Art der Auseinandersetzung mit dem Thema Gewerkschaft zugelassen. Und wir haben dann – natürlich undercover – versucht, eine Runde von Leuten zusammenzukriegen, die das tragen könnten.
 
Portrait Uwe Grund, dahinter der Schriftzug "DGB"

Der frühere Vorsitzende des Hamburger DGB, Uwe Grund. Er ebnete Karger den Weg in den Besenbinderhof. (Foto: DGB)

In dieser Zeit beschrieben Sie Ihre Wahrnehmung von Gewerkschaftsstrukturen einmal als „Ü50 und männlich“. Hat sich dieser Eindruck verfestigt oder ist das Bild heute eher differenzierter?

(Lacht) Differenzierter! Zum einen ist natürlich ein großer Bereich der Gewerkschaften – so wie die meisten Unternehmen in der Bundesrepublik auch – männlich. Und dadurch, dass wir eine alternde Gesellschaft haben, sind die meisten Menschen, die heute arbeiten, auch schon älter.
Was den Unterschied ausmacht - und das ist es, was ich jetzt anders beurteile: Die Gewerkschaften tun eine Menge dagegen. Sie arbeiten seit zehn Jahren massiv an ihrer Frauenquote, haben eine ganz andere Förderung etabliert – ich meine, ich bin da der beste Beweis, dass da ein paar Dinge inzwischen anders laufen. Auf der anderen Seite brauchen wir Menschen, die einen Bart haben, alt sind, erfahren sind und uns ihren Teil des Wissens weitergeben. Es geht um die Gemeinsamkeit.

Sie erinnern regelmäßig an den Schlachtruf „Samstags gehört Vati mir!“ und sind bemüht, sich die Wochenenden freizuhalten. Ihr Beitrag zur Burnout-Debatte?

Da geht es um eine grundsätzliche Fragestellung, bei der ich für mich noch experimentiere. Wenn ich mich umgucke in diesen zehn, vielleicht fünfzehn Jahren, in denen ich die Gewerkschaft von innen kenne: Ich weiß nicht, wie viele meiner Kollegen ich schon mit 60 mit ´nem Herzinfarkt habe begraben müssen. Wie viele ausgebrannt sind, kaum dass sie 55 geworden sind. Gerade unter den Gewerkschaftern sind viele, die sich derart ruinieren - weil sie sich für die Sache einsetzen, weil sie Ideale haben. Wenn ich mir das angucke glaube ich, dass es auch darum geht, ein neues Gleichgewicht zu schaffen. Ich kann nicht als Gewerkschafterin Wein nach außen predigen und dann selber Wasser saufen. Ich muss gucken, dass ich dieses Gleichgewicht auch selber hinbekomme. Das ist natürlich ein ungeheures Spannungsverhältnis, weil ich genau in diesem Zerreiß stehe, zwischen „ich hab´ ein Ideal“ und „ich will da was erreichen“. Aber ganz ganz ehrlich: Kein Job dieser Welt ist es wert, dass ich mich gesundheitlich ruiniere.

Nach Ihrer Wahl im Oktober 2013 sprachen Sie von einem „Experiment“, das der DGB mit Ihnen wagt. Würden Sie heute noch einmal an diesem Experiment teilnehmen?
 
Fragen Sie mich nach dem 1. Mai nochmal, bis dahin habe ich noch eine Art Schonfrist (lacht). Der Job ist mit Abstand komplexer, verantwortungsvoller und interessanter, als ich dachte. Aber er hat eben auch eine Menge Gewicht. Wir werden sehen!